Passauer Bistumsblatt, Ausgabe vom 1938-06-26. Herausgeber: Archiv des Bistums Passau, Passau (2016). Veröffentlicht unter der Lizenz Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International. Passauer Bistumsblatt. Mitteilungsblatt des Bichöflichen Stuhles. Bischöflicher Stuhl Passau, Passau. 3. Jahrgang Nr. 26, 1938-06-26. Die Zeitungsdoppelseiten wurden mit 300dpi und einer Farbtiefe von 24 Bit gescannt, die resultierende TIFF-Datei binarisiert und als Input für die OCR-Software verwendet. Überschriften, Artikeltexte und Seitenumbrüche wurden kodiert, Absatzumbrüche und Spaltenumbrüche wurden nicht kodiert. Artikelüberschriften wurden korrekturgelesen, Artikeltexte als OCR-Rohausgabe belassen. Ausgenommen je 3 Artikel pro Ausgabe, die grün markiert sind und vollständig korrigiert wurden. Das Projekt „Digitalisierung und Onlinestellung des Passauer Bistumsblattes“ stellt eine gemeinsame Unternehmung des Archivs des Bistums Passau, des Lehrstuhls für Digital Humanities der Universität Passau und des Passauer Bistumsblatts dar. Es wurde von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Archivs und des Lehrstuhls für Digital Humanities umgesetzt. ──────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────────── Passauer Bistumsblatt Jahrgang 3 Nummer 26 26. Juni 1938 ────────── "Beweisen? Ml Leichtigkeit! Sehen Sie: die Kirche redet ihren Anhängern die Erbsünde ein, droht ihnen mit der Hölle und macht sie dadurch unfrei. Sie zerstört die natürlichen Triebe des Menschen und erfüllt ihn mit Angst: Angst vor Gott, Angst vor sich selbst. Wie furcht­ bar ist im Grunde ein solches Leben — furchtbar wie der Tod selbst." "Das war kein Beweis," sagte der Ingenieur freundlich; "bis jetzt nur eine Behauptung! Soll ich Ihnen einen Beweis für das Gegen­ teil geben?" "Bitte! Ich bin sehr neugierig." "Ich darf Sie vielleicht daran erinnern, daß das Rheinland, wohin wir eben fahren, überall als das Land des Frohsinns gilt. Unzählige Lieder behaupten dies. Nun ist das Rheinland aber doch tm wesent­ lichen ein katholisches Land! Woher also das Talent zum Leben?" Der Jüngere schwieg eine Weile. Dann erwiderte er mit leisem Trotz: "Was Sie auch anführen mögen — Sie können meine Auffas­ sung nicht erschüttern. Ich habe mein Leben der Freude geweiht — nicht einem ständig zürnenden Gott. Glauben Sie mir: wir Atheisten sind doch die größeren Lebenskünstler! Wir haben mehr vom Leben!" Ein anderer Reisender war in das Abteil getreten und das Ge­ spräch war damit beendet. Wenige Tage nach dieser Unterredung stand der Ingenieur am Grab seines Vaters, zu dessen Lebensende er gekommen war. Als er mit seinen Angehörigen den Friedhof verließ, begegnete er einer Gruppe Leidtragender, die ebenfalls von einem Toten Abschied nah­ men. Es waren vier Herren und eine Dame. Sie standen vor der geöffneten Tür des Leichenhauses. Die Dame, die bei ihnen war, weinte fassungslos. "Mein Sohn," schluchzte sie, "mein armer, armer Sohn!" Der Ingenieur warf im Vorübergehen einen Blick in die Kammer. War es Wahrheit? Täuschte er sich? Nein! Es war sein Fahrtgenosse vom letzten Sonntag, der dort im Sarge lag. Seine Augen waren zwar umschattet von dunklen Rändern und sein Gesicht eingefallen, — aber er war es! Ganz ohne Zweifel. Das also war das Ende eines Menschen, der noch so viel vom Le­ ben erwartete, gerade weil er Atheist war! Das war das Wieder­ sehen, von dem sie beim Verlassen des Zuges gesprochen hatten! Der Ingenieur erkundigte sich nach den näheren Umständen dieses Todesfalles. Der junge Mann hatte am Tage seiner Ankunft ein Fest besucht, bei dem es hoch hergegangen war. In der anschließenden kühlen Nacht hatte er sich schwer erkältet. Eine Lungenentzündung war die Folge gewesen. Und jetzt sein Tod. "Seltsam," grübelte der Ingenieur, "daß gerade das sein Ende her­ beigeführt; das Ende eines Lebens, das der Freude geweiht war!" Hatte er nicht gesagt, der Atheist sei der größere Lebenskünstler? Aber er hatte es nicht vermocht, seinem Leben nur eine Elle zuzu­ setzen. Und nun »var er doch — vielleicht wider seinen Willen — ganz in Gottes Hand. Augustin Senge. Wenn die Liebe rechnet ────────────────────── Wenn die Liebe rechnet Sonntagsbetrachtung Gehörst du auch zu denen, die mit dem Meister im heutigen Evangelium nicht ganz zufrieden sind? Sollte wirklich im Himmel einer, der ein verlottertes Leben hinter sich hat und nun vielleicht sich in den letzten fünf Minuten noch findet, stürmischer und begei­ sterter empfangen werden, als 99 Gerechte, die sich ein Leben lang redlich und tapfer ge­ schlagen haben? Damit wären ja, so fürchtest du, der Sünde die Tore angelweit geöffnet. Man müsse also erst den Vater beleidigen, um seine Langmut herauszulocken und seine Liebe wirklich zu gewinnen? Man müsse sich durch ein leicht- fertiges, lasterhaftes Leben erst in die Huld und Gnade hineinstehlen? Die nie bemakelte Unschuld, die niemals gebrochene Treue, die unverzagte Tapferkeit, die Liebe, die auch keine Sekunde lang den Dienst aufgekündigt hat, — das alles sollte weniger gelten vor Gott? Du hast den Herrn nicht verstanden. Der Meister will nicht die Sünde billigen. Er will auch keine Rangordnung im Himmel an­ kündigen: ob ein größeres Maß von Seligkeit dem zuteil wird, der sein Leben lang bei Gott gewesen ist oder dem, der erst in später Stunde zu Gott zurückgefunden hat. Dies alles liegt ihm ferne. Christus will in diesen beiden reizenden Bildern vom Hirten und von der armen Frau, die ihr verlorenes Schaf und die verlorene Münze wieder fin­ den, zeigen: wie die Liebe rechnet. Die warme, interessierte Liebe rechnet anders als der kühle teilnahmslose Verstand. Die Liebe macht hier wirklich den Menschen blind und macht ihn zum Toren. Darum vergißt die Liebe scheinbar all das, was bereits geborgen ist, aber nur aus Liebe zu dem, was in die Irre ging. So rechnet die Liebe des Freun­ des, so rechnet die Liebe einer Mutter, so rech­ net die Liebe Gottes, so muß die Liebe aller Christen rechnen. Und wenn es je einmal vorkäme, daß du für deine Geltung vor Gott und für deinen Lohn bei Gott fürchtest, weil du dein Leben lang auf der geraden Straße zu Gott geblieben bist und nun siehst wie ein anderer nach sündhaftem Wandel im letzten Augenblick auch noch freu­ dig von Gott aufgenommen wird; und wenn es je einmal vorkäme, daß du darüber nicht mit Freude, sondern mit neidvollem Bangen erfüllt würdest, — dann lies das heutige Evangelium und laß dir vom Apostel Paulus die Erklärung geben: "Und wenn ich allen Glauben hätte, so daß ich Berge versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, — so wäre ich nichts." Christenlehre ───────────── Christenlehre Gibt es eine Selbsterlösung? "Wer kann Sünden vergeben, als Gott allein?" (Mark. 2) Darüber wurde unter gläubigen Menschen nie gestritten, daß Gott, und nur Gott Sünden vergeben könne. Als Eigenrecht Gottes galt das immer. Und auch wer diese Kraft rechtmäßig übertragen bekam, konnte annehmen: Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen. Freilich, wer an keine Sünde glaubt, der braucht eigentlich über Sündenvergebung auch nicht nachzudenken. Und doch ereifern sich gerade solche Leute gern über die "Sünde"; es zittert halt doch durch ihr Gewissen wie ein fernes, leises Erdbeben. Wer an keine Sünde glaubt, der braucht natürlich auch nicht zu glauben an eine Erlösung. Und doch las ich auch in diesen Zeiten oft Behauptungen sol­ cher Art: Wir brauchen keinen Erlöser, wir erlösen uns selbst. Also doch das Denken an eine "Erlösung": es mangelt etwas, wir müssen uns hinauf­ arbeiten, wir sind nicht volüomrnen. Es ist nicht der volle Erlösungsbegriff, aber es ist eine Ahnung davon. Unlogisch ist es nun, sich selbst erlösen zu wollen. Der große Abenteurer und Auf­ schneider Münchhausen erzählt davon, wie er sich an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf herausgezogen habe, in de» er hin ein­ gefallen war. Das ist die Eelbsterlösungl